Julian Baumgartlinger ist das, was der Fußballer im Fachjargon „Staubsauger mit Pferdelunge“ nennt. Auf der Position des Sechsers hat sich der gebürtige Salzburger über die Landesgrenzen hinweg einen Namen gemacht und wechselte im Sommer von Mainz 05 zu Bayer 04. Kürzlich hieß es sogar, Manchester United-Coach Jose Mourinho habe ein Auge auf den 28-jährigen Mittelfeldspieler geworfen. Bei all dem Trubel um seine Person, gibt sich der Kapitän des Nationalteams, der vom kicker-Magazin als einer der Top-Neuzugänge der Bundesliga genannt wurde, gewohnt bodenständig, unaufgeregt und dabei voll fokussiert. Mit dem Spieler sprach der von Mitspielern ab und an „Adonis“ genannte Baumgartlinger über das ereignisreichste Jahr seiner Vereins- und Nationalteam-Karriere, vertraute Personen im neuen Umfeld sowie Be- und Entschleunigung als Notwendigkeiten in seinem Leben. Ganz im Gegensatz zu den sozialen Medien.
Deine Karriere hat beim USC Mattsee in Salzburg seinen Anfang genommen. Wie denkst du an die Zeit deiner ersten Schritte als Fußballer zurück und hast du noch eine spezielle Bindung zum Verein?
Ich hatte eine tolle Zeit. Speziell in einem kleinen Ort und Verein wie Mattsee schaut praktisch jeder Bub irgendwann beim Vereinstraining vorbei, probiert es aus und bleibt dann oder eben nicht. So war auch mein Einstieg unkompliziert. Wir hatten eine ziemlich erfolgreiche Zeit in meinem Jahrgang und ich habe von dort direkt den Schritt nach München geschafft. Ich verfolge die erste Mannschaft nach wie vor und habe viele Freunde und Bekannte in und um den Verein. Es ist und bleibt mein Heimatverein.
Hätte ein Verbleib in Österreich, sowohl in jungen Jahren als auch später bei der Wiener Austria, für dich „Stillstand“ bedeutet? inwiefern / in welchen Bereichen hast du dich deiner Meinung nach in Deutschland steigern / besser entwickeln können?
Nein, das hätte es nicht. Jedoch fand ich die Idee, bei 1860 München, einem der besten Ausbildungsvereine Süddeutschlands, zu spielen, reizvoll. Auch die geografische Nähe zu meiner Familie war ein Grund für diesen Schritt. Außerdem war die Förderung durch Verein und Partnergymnasium sowie acht bis zehn Trainingseinheiten pro Woche außergewöhnlich.
Thema „Österreich“: Wie bewertest du die heimische Bundesliga und die Entwicklung, speziell bei den Wiener Vereinen und Red Bull Salzburg, als nunmehr „Außenstehender“?
Ich verfolge die Liga immer noch sehr genau. Ich denke, dass gerade wieder sehr viele junge, hochtalentierte Spieler dort spielen, was wiederum Nachschub bzw. Verstärkung für unser Nationalteam bedeutet. Infrastrukturell passiert in Wien gerade sehr viel, was nur positiv für alle sein kann. Salzburg geht konsequent seinen Weg und alle drei genannten Vereine stehen konstant in den europäischen Bewerben in Gruppenphasen, wo sie sich auch behaupten. Das alles ist sehr positiv.
Das Jahr 2016 geht trotz erstmaliger EM-Teilnahme aus eigener Kraft und unglaublichem Hype vermutlich mit einem leichten Beigeschmack in deine persönliche Geschichte ein, wenn man an die Euro-Performance und die Situation in der WM-Quali denkt. Wie ordnest du das Jahr 2016 ein?
2016 war ein besonderes Jahr für uns alle. Es war eine Achterbahnfahrt der Gefühle, von unglaublich positiven Emotionen, Spielen und Eindrücken. Es bleiben auch enttäuschende Momente. Nichtsdestotrotz haben wir viel Erfahrung mitgenommen und können auch aus einem nicht immer erfolgreichen Jahr viel lernen und profitieren.
Was bedeutet es für dich, nach Christian Fuchs nun Kapitän des Nationalteams zu sein?
Ich bin stolz, diese Aufgabe übernehmen zu dürfen. Jedoch sehe ich auch eine Verantwortung und Herausforderung diese Rolle mit Leben zu füllen.
Mit der EM-Teilnahme, wo du durchwegs – und als einer der wenigen – positives Feedback erhalten hast und dem Wechsel nach Leverkusen kann man von einem furiosen Jahr sprechen. Hat die Medienresonanz seit deinem Wechsel eine neue Sphäre erreicht?
Berichterstattung und Medienarbeit gehören mehr denn je zu unserem Beruf. Ich beschäftige mich aber ausschließlich mit Faktoren, denen ich vertrauen kann. Objektive Rückmeldungen bekomme ich von Trainern und engen Vertrauten.
Als Mainz-Kapitän bist du zu einem der deutschen Top-Klubs gewechselt. Momentan läuft die Saison wohl eher durchwachsen für Bayer 04, die Personal-Dichte im Leverkusener Mittelfeld ist groß. Welche Ansprüche stellst du an dich?
Ich bin gerade einmal vier Monate im Verein und fühle mich trotzdem schon sehr wohl. Der Verein war die beste Wahl für mich und dass es momentan in allen Mannschaften und Wettbewerben ausgeglichener denn je ist, ist offensichtlich. Gerade diese Herausforderung suche ich und sehe hierbei eine große Chance. Als Mannschaft können wir noch viel erreichen diese Saison, das hat ich bis hierhin nicht geändert.
Leverkusen hat sich im Sommer bekanntlich auch die Dienste von Aleksander Dragovic und Ramazan Özcan gesichert. Wieviel Zeit verbringt ihr auch abseits des Rasens miteinander?
Wir alle drei sind froh, bereits vertraute Gesichter in einem neuen Umfeld zu sehen. Das erleichtert zum einen die Eingewöhnung, zum anderen kann man abseits des Platzes tatsächlich schneller Fuß fassen. Der straffe Zeitplan in diesem Herbst lässt zwar wenig Freizeit zu, aber wir schaffen es regelmäßig etwas zu unternehmen.
Mit Roger Schmidt trainiert dich ein in Salzburg zu Ruhm gekommener Coach, der für sein offensiv angelegtes Spielsystem bekannt ist. In diesem Jahr waren ihm bereits einige Schlagzeilen gewidmet, u.a. der „Spinner“-Sager gegen Hoffenheim-Trainer Nagelsmann, die hervorgerufene Spielunterbrechung am Anfang des Jahres im Spiel gegen Dortmund. Ist er einer dieser Typen mit Ecken und Kanten, die der Fußball braucht?
Roger Schmidt lebt den Fußball zu 100%. Das macht ihn erfolgreich, aber auch zu jemandem mit klaren Ansichten, Vorstellungen und Überzeugungen. Das sieht man daran, wie seine Mannschaften Fußball spielen. Kompromisslos. Und das eckt auch hier und da an, gerade in einer Medienlandschaft, die jede Kleinigkeit zu einer Riesensache aufbauscht.
„An sein Leistungsmaximum zu kommen und sich dadurch weiterentwickeln zu können, ist für mich entscheidender als rein monetäre Gründe“ – die Aussage stammt von dir im Zuge der Frage, warum du die Deutsche Bundesliga der englischen Premier League vorziehst. Würdest du somit einem Wechsel auf die Insel strikt einen Riegel vorschieben?
Nein. Das Zitat kam im Zusammenhang mit der Konkurrenz- und Qualitätsdichte in der Deutschen Bundesliga zustande. Das sehe ich immer noch so, aber das eine schließt das andere nicht kategorisch aus.
Weil wir gerade beim Thema sind. Was bedeutet Luxus für dich?
Luxus ist Zeit mit meiner Frau und Familie. Das versuche ich mir so oft wie nur irgendwie möglich zu gönnen.
Viele deiner Kollegen sind auf Social Media sehr präsent und pushen Fanbase sowie teilweise ihr eigenes Merchandising. Um dich ist es dahingehend ruhiger, warum?
Ich sehe keinen Mehrwert für mich, diese Kanäle zu bedienen. Es dient Followern und Fans oft nur noch als Ventil für Extreme: übertriebene Glorifizierung oder Kritik und Beleidigungen. Darin sehe ich keinen Sinn.
Wenn du nicht am Rasen stehst – wie bekommst du den Kopf am besten frei?
Ich lese, trinke guten Kaffee, koche ab und an sehr gerne, schaue NFL- eigentlich totale Entschleunigung.
Bezeichnungen von Kollegen als „Adonis“ legen nahe, dass du ein rundum körperbewusster Mensch bist? Worauf verzichtest du, um dein Fitnesslevel so hoch zu halten?
Da ich von Kindesbeinen an Sport bzw. eine sportliche Lebensweise Alltag war, ist das für mich etwas Selbstverständliches. Dabei bedeutet Bewusstsein, eigentlich in Bezug auf fast alles, nicht Verzicht für mich, sondern wissen, was einem wann gut tut und wann nicht. Der Rest ist Erfahrung und Entwicklung.
Ein Blick in die Zukunft: Was macht Julian Baumgartlinger in zehn Jahren?
Das kann ich definitiv noch nicht sagen, aber ich denke, ich werde dem Fußball auf jeden Fall in irgendeiner Funktion erhalten bleiben.
Carlos Valderrama, Abel Xavier, Marouane Fellaini…und Julian Baumgartlinger. Ist deine Mähne deiner Zeit bei den Löwen von TSV 1860 München geschuldet und sind dir die Haare eigentlich nie störend im Blickfeld?
Die Locken habe ich meinem Opa zu verdanken und da ich mit kurzen Haaren wie ein Zwölfjähriger aussehe, trage ich sie bis heute länger. Der „Fahrtwind“ bläst die Haare immer nach hinten, deswegen ein guter Ansporn, immer und schneller zu laufen.
Herzlichen Dank für das Interview!