In Zeiten von gescheiterten Super League-Planungen und Fan-Aufständen zeigt sich, dass der Fußball und seine Basis – die Fans, die Amateurkicker – stärker als eine Hand voll Milliardäre sind. Amir Bradaric und Patrick Wolf kennen beide Welten: Den bezahlten, internationalen Fußball sowie den Unterhaus-Kick am Sonntag – mit Bier und Bratwurst. Wo die beiden die wahren Wurzeln des Fußballs verankert sehen und was ihre Liebe zum Sport auch im fortgeschrittenen Fußballer-Alter aufrecht hält, erzählt das Duo im ausführlichen Interview.
Als Profifußballer genießt man einfach die Zeit. Erst mit 30 wurde mir langsam bewusst, dass diese Zeit irgendwann zu Ende geht“, erinnert sich Bradaric an die Gedankengänge aus dem Spätherbst seiner Karriere zurück. Zeitlich bewegen wir uns im Jahr 2007, als der damals 33-Jährige den Profibereich in Richtung Ostliga verlässt. In seiner Vita stehen zu diesem Zeitpunkt 246 Zweitliga-, 58 Bundesliga-Spiele und ein Kurz-Engagement in der 2. Deutschen Bundesliga. „Ich war nicht nur bei Creme de la Creme-Vereinen“, zeigt er sich bescheiden. Dementsprechend fiel ihm der Gang in die 3. Österreichische Liga damals nicht allzu schwer. „Meine erste Station im Amateurbereich war Parndorf – die waren für mich besser organisiert als so mancher Zweitligist.“ In den kommenden 13 Jahren seiner Laufbahn folgten zwölf verschiedene Stationen in so gut wie allen Leistungsklassen, die das heimische Unterhaus zu bieten hat. „Als ich dem Profibereich den Rücken gekehrt hab, war ich immer noch voll im Saft. Ich war ein Spieler, der von seiner Physis lebte, hatte immer die besten Werte.“
Diese körperlichen Gegebenheiten lassen Bradaric auch mit 46 Jahren noch dem runden Leder hinterherjagen. Respekt. „Aber jetzt höre ich definitiv auf.“ Zwar nicht mit dem Fußball, aber dem aktiven Dasein auf dem Platz. „In der Zeit vor Corona haben mich die Matches am Leben gehalten. Ich habe mich fit gefühlt und sehr gerne gespielt. In der Pause ist aber die Lust, mich herzurichten, etwas verfallen.“ Das Feuer in den Augen, im Amateurfußball etwas zu bewegen, aber keineswegs. Denn Bradaric hat sowohl Stationen als Spielertrainer als auch als Funktionär hinter und vor sich. Auch wenn der 46-Jährige nicht als Trainer am Spielbericht stand, galt er als Ex-Profi bereits bei vielen Klubs automatisch als verlängerter Arm des Trainers. „Ich nahm mich schon immer in die Pflicht, meine Erfahrung als Spieler im Verein einzubringen. Wenn das angenommen wurde, war es natürlich schön.“ Die Ansprüche an Bradaric von der Außenwelt sind im Amateurfußball aber andere, was der Routinier zu genießen scheint. „Im Profibereich waren Existenzängste oft ein Begleiter: Dein Vertrag läuft aus, du bist verletzt, musst aber eine Familie ernähren. Da gab es schon Momente, wo man sich dachte: Am liebsten würd ich auf der Baustelle hackeln“ – wie es manche seiner Spieler tun. Eine Herausforderung, die Bradaric so im Profibereich nicht kannte. „Mit vielen Spielern musst du kämpfen, damit sie regelmäßig trainieren kommen und die Einstellung stimmt. Manche haben vor dem Training einen langen Arbeitstag hinter sich und werden dann am Abend auch noch von mir herg’haut wie ein Tanzbär. Geld oder Entschädigungen sind hier sicher nicht die Antriebswelle. Der wahre Ursprung des Fußballs ist daher für mich im Amateurfußball zu Hause.“
Das Unterhaus kennt Bradaric nach nunmehr 13 Jahren Erfahrungen wie seine Westentasche. Seine langfristigen Planungen sollen ihn aber wieder zurück in altes Terrain, den Profibereich, führen. Was mit diesem Schritt verloren ginge, weiß er. „Es gibt im Amateurbereich keinen Erfolg um jeden Preis. Es ist familiärer, man kommt seinen Mitspielern als Freund näher. Natürlich strebt man genauso Erfolg an – aber bei einer Niederlage trinkst du zwei Bier und es ist zum großen Teil wieder vergessen.“
MAGISCHE MOMENTE IM UNTERHAUS
Wenn ein Ex-Nationalspieler den Wunsch äußert, in seiner Karriere noch einen Treffer in der 2. Klasse zu erzielen, ist eines gewiss: Dieser Mann liebt den Fußball. Die Rede ist vom 39-jährigen Patrick Wolf, der seit nunmehr sieben Jahren im Amateurfußball auf Torjagd geht – und das nach 182 Bundesliga-Einsätzen, elf Auftritten in internationalen Wettbewerben und zwei Spielen im österreichischen Nationaltrikot. „Je älter man wird, desto weiter geht man runter. Und dass man irgendwann den Biss verliert, den man als Profi hatte, ist auch klar“, erklärt Wolf seinen Weg aus der Bundesliga in die steirische Oberliga. Der Wechsel, zurück in den Amateurbereich, war auch für ihn kein Kulturschock. Im Gegenteil: Sein Weg führte erst über das „Unterhaus“ in die 2. Liga und schließlich in die Bundesliga zur SV Ried, Austria Kärnten, Wiener Neustadt und Sturm Graz. Eine Zeit, die er nicht missen möchte.
„Ausverkaufte Stadien, der Fan-Kult, die Stimmung, Leute, die sich mehrere Wochen auf ein Spiel von dir freuen“, schwelgt er in Erinnerungen. Zumindest seit Corona die Welt fest im Griff hat, unterscheidet sich die Atmosphäre von jener im Unterhaus nur noch bedingt. „Die jetzige Phase ohne Zuseher kann man mit dem Amateurfußball vergleichen: Du hörst am Spielfeld jedes Wort und Stimmung geht natürlich verloren. Im Unterhaus ist es nur so, dass dich die Leute eher kennen und leichter schimpfen.“ Für Wolf, der mittlerweile auch als Spielertrainer tätig ist, überwiegen dennoch die schönen Seiten des Amateurkicks. „Die familiäre Basis und der Zusammenhalt sind schon besonders. Natürlich gab es auch im Profibereich Teamabende, aber dort verläuft es sich sehr schnell.“
EIN LETZTES ZIEL
Mit 39 Jahren beginnt nun auch seine Uhr im Unterhaus zu ticken. „Die Regenerationsphasen werden länger. Man muss regelmäßig trainieren, um den Anschluss an die Jungs nicht zu verlieren“, gesteht sich Wolf ein. „Ohne Fitness kann man auch in unteren Klassen nicht bestehen. Vor allem nicht als Spielertrainer, wenn die Augen auf einen gerichtet sind. Der Schädel will zwar noch, aber irgendwann streikt der Körper.“ Ein weiteres Jahr möchte der Routinier aber noch dranhängen, die Planungen für das erste Kapitel nach der aktiven Karriere haben aber bereits begonnen. „Ich möchte mich vor allem als Trainer weiterbilden. Aber erst, wenn sich alles normalisiert und Kurse nicht mehr nur online stattfinden.“ Sein eingangs erwähntes Ziel, in der 2. Klasse noch einen Treffer zu erzielen, soll aber davor erfüllt werden. „Dann hätte ich in allen Spielklassen ein Tor geschossen. Das wär schon etwas Historisches für mich.“
Historisch ist auch die Zwangspause, die den Amateurfußball und all seine Vereine mit voller Breitseite erwischte. Wolf vergleicht diese Zeit mit einer schweren Verletzung. „Die Corona-Phase ist für alle in Wahrheit wie ein Kreuzbandriss: Du bist sechs Monate weg, kannst den Sport, den du liebst, nicht ausüben. Ein Wahnsinn, dass uns alle so etwas einmal trifft.“ Dementsprechend groß ist die Freude auf ein Wiedersehen, auf Normalität und auf Abende mit der Mannschaft, die den Amateurfußball so besonders machen. „Wenn die ganze Truppe wieder beieinander ist – das wird definitiv ein magischer Moment.“
Text: Lukas Mitmasser