Wir schreiben den 11. März 2020: Eine routinemäßige Zusammenkunft der Vertreter aller Landesverbände und ÖFB-Spitzen avanciert zur Krisensitzung. Es soll die nahe Zukunft des rot-weiß-roten Fußballs in Corona-Zeiten geplant werden. Dabei kam es zu einem Entschluss, der – zum damaligen Zeitpunkt ungeahnt – mehrere Monate Geisterstimmung auf Österreichs Sportplätzen einziehen lässt. „Der Fußball ist gefordert, seinen Beitrag zu leisten, damit wir alle gemeinsam diese Krise meistern“, appellierte damals ÖFB-Präsident Leo Windtner.
Der 12. März und somit Folgetag der Entscheidung war zugleich jenes Datum, an dem der Anpfiff für den „zu leistenden Beitrag“ ertönte. Der Meisterschafts-Betrieb aller Spielklassen, bis auf Bundesliga und 2. Liga, wurde bis auf Weiteres eingestellt. Ein Fortsetzungs-Datum war zum damaligen Zeitpunkt (302 bestätigte Corona-Fälle in Österreich) noch nicht prognostizierbar. Die Folge: Ungewissheit zog in den Alltag vieler Vereins-Funktionäre, Spieler und vor allem Vertreter der Verbände ein, die als erste Anlaufstelle im Fragen-Meer versanken. Heimo Zechmeister, Geschäftsführer des Niederösterreichischen Fußball-Verbandes, berichtet von vorderster Front. „Die Stimmung war sehr ungewiss. Man wusste, man muss reagieren, um die Auflagen der Bundesregierung zu erfüllen. Organisatorisch ergaben sich daher einige Fragen, weswegen wir uns für eine Unterbrechung entschieden.“
KÖNIG FUSSBALL ENTTHRONT
Aus einer ursprünglichen Saison-Pause resultierte mit der zweiten und finalen Entscheidung vom 15. Mai jedoch ein österreichweiter gänzlicher Abbruch. In dieser fußballfreien Zeit habe man „immer wieder die Vorgaben der Bundesregierung abwarten müssen“, so Zechmeister. „Wir waren hilflos, fühlten uns wie Beifahrer“, spielt Zechmeister auf spärliche Informationen seitens der Ministerien an. „Vereine haben angerufen und wir wussten nicht, was wir sagen sollen. Daher stellten wir keine Vermutungen auf oder schürten Hoffnungen, die es nicht gibt.“ Ein Vorgehen, das auch für Gegenwind sorgte. „Viele haben gesagt, wir verstecken uns.“
Doch im Hintergrund wurde an Lösungen gearbeitet – teils gemeinsam mit den Vereinen. „Der springende Punkt für die Entscheidung des Abbruchs war, dass niemand wusste, wie viele Vereine es in der Corona-Krise erwischt“, erklärt Heimo Zechmeister, der als Fallbeispiele Ebreichsdorf und Gaflenz nennt. Letzterer zog sich aus der 1. Landesliga in die 2. Klasse zurück, Ebreichsdorf entschied sich als Ostliga-Größe für den Gang in die Gebietsliga. „Was hätten wir tun sollen, wenn es neben Gaflenz noch fünf Vereine aus der 1. Landesliga gegeben hätte? Die Probleme wären also weitaus größer gewesen, hätte man die Saison fortgesetzt.“
KRITIK VON DER TABELLENSPITZE
Zeitgleich sorgte der Abbruch, ohne die gesammelten Punkte zu berücksichtigen, bei einer kleinen Gruppe für großen Unmut: Den Tabellenführern. Im Burgenland planten Vereine Sammelklagen – auch in Niederösterreich zogen Wolken über dem Tabellengipfel auf. „Der Verband hat es sich sehr leicht gemacht. So hat man immer nur eine Mannschaft gegen sich – nämlich den Erstplatzierten“, hieß es beispielsweise aus dem Lager des USC St. Georgen, Tabellenführer der 1. Klasse West. Zechmeister kontert: „Die Minderheit, die weiterspielen wollte, waren die Tabellenführer. Der Verband ist aber nicht da, um eine Minderheit zu unterstützen, sondern um zu sondieren und zu sehen, was im Endeffekt der Wunsch der Vereine ist.“
Generell zeigte die Situation in der 2. Liga Anfang Juli, dass hinter einer Fortsetzung in Corona-Zeiten auch Konzepte für Krisensituationen greifbar sein müssen: Denn drei Spieler des Kapfenberger SV wurden vor dem 26. Spieltag positiv auf COVID-19 getestet. In der Folge wurde die kommende Begegnung der Steirer abgesagt, der Rest des Teams musste sich weiteren Tests unterziehen, bevor die Mannschaft wieder in den Betrieb einsteigen durfte. „Wir sprechen hier von Bundesliga. Hätten wir etwa den gleichen Fall in St. Georgen und die gesamte Mannschaft müsste sich mindestens zwei Tests unterziehen, dann bin ich gespannt, ob die Fortsetzung immer noch der große Wunsch ist“, so Zechmeister, der beklagt, dass oft nicht mit zweierlei Maß gemessen wird. „Hätten wir im Umkehrschluss gesagt, ihr dürft spielen, fragt man uns im Nachhinein, ob wir gestört sind, Sachen anzuordnen, die man im Endeffekt nicht erfüllen kann.“
RESTART MIT NEUEN CHANCEN?
In der Corona-Krise gibt es sowohl wirtschaftlich als auch sportlich kaum Gewinner. Dennoch scheint ein kleines Licht am Ende des Tunnels. Denn getreu dem Motto „mit dem Nachwuchs durch die Krise“, setzen einige Klubs wieder vermehrt auf regionale Kicker und eine gesunde, junge Basis anstatt kostspieliger Legionäre. „Ich hoffe, dass dies ein positiver Effekt der Krise ist, ganz traue ich dem aber noch nicht. Denn natürlich wissen das die Vereine und zerbrechen sich den Kopf, wenn sie Legionäre verpflichten und die Grenzen möglicherweise wieder schließen.“
Den sportlichen Lockdown nicht überlebt haben in Niederösterreich mit Unterwaltersdorf, Königstetten und Sarling „nur“ drei Vereine. Während zusätzlich drei Klubs keine Reserve-Mannschaft stellen können, verzeichnet man im Frauenfußball sogar einen Anstieg an neuen Teams. Diese Bilanz ist ähnlich zu den vergangenen Jahren ohne Corona somit durchaus positiv zu betrachten. Über dem Berg ist man laut Zechmeister jedoch noch nicht. „Sollte es wieder zu sektionalen Problemen (Anm.: Anstieg der Corona-Zahlen in bestimmten Regionen) kommen, wie es Anfang Juli in Oberösterreich der Fall war, dann weiß ich nicht, ob einige Vereine einen zweiten Aussetzer wegstecken können. Der Terminplan ist voll, Ersatztermine unter der Woche gibt es kaum. Die Sache ist also noch nicht durchgestanden.“
Dennoch wird ab dem ersten SeptemberWochenende der Ball wieder rollen – trotz steigender Corona-Zahlen. „Wir zweifeln nicht, dass der Start verschoben werden muss, sondern gehen davon aus, dass wir unter gewissen Auflagen ab Herbst mit Publikum spielen dürfen. Wir müssen uns aber auf gewisse Szenarien einstellen, sollten positive Tests kommen. Daran wird gerade gearbeitet.“ Hoffentlich der letzte PuzzleStein, bevor über 2.000 Vereine in eine neue Normalität zurückkehren.
„Viele Vereine agieren getreu dem Motto: Mit dem Nachwuchs durch die Krise. Ich hoffe auf diesen positiven Aspekt, ganz traue ich dem aber noch nicht.“ – Heimo Zechmeister, Geschäftsführer NÖFV
Text: Lukas Mitmasser